Heinz Oestmann, Fischer und Umweltaktivist aus Altenwerder, geht in Rente. Pünktlich zum Abschied ist jetzt seine Biografie erschienen.
(aus Hinz&Kunzt 256/Juni 2014)
Abschied, Rente … Wenn einer wie Heinz Oestmann übers Schlussmachen redet, könnten leicht Sätze fallen wie „Kein Bock mehr auf den Scheiß“ oder „Die können mich alle mal!“. Aber der Fischer in achter Generation, Umweltaktivist, Mann der markigen Worte und Rocker sitzt ganz entspannt auf der Bank vor seinem Riesenhaus in Finkenwerder und lächelt. Jahre haben wir uns nicht gesehen. Das übliche „Wie geht’s?“ ist schnell erledigt. „Ich bin frisch verliebt“, sagt der 64-Jährige. Pott Kaffee und Schnacken in der Wohnküche sind angesagt. Über die neue Liebe soll noch nicht so viel geschrieben werden, die ist nämlich wirklich ganz frisch. „Aber das wird“, da ist er sich ganz sicher.
Lieber reden wir über das Schlussmachen und die letzten Jahre. Die waren nämlich verdammt hart. 14 Jahre lang hat er zwei Betriebe geführt: Tagelang war er mit seiner Nordstern unterwegs. Kaum zurück, warteten sein Fischrestaurant und die Gäste. Aber: „Da den Kasper machen, das liegt mir nicht“, sagt Heinz. Der „alte Gnatterpott“ ist nicht der Typ für so was. Das wäre etwas für seine Frau gewesen, die Renate. Sie wäre in der Rolle der Gastgeberin aufgegangen. Heinz dagegen spricht nur mit Leuten, die er mag. Die anderen können sich quasi gehackt legen. Den Mathias Denzlinger, den mag er offensichtlich. Das ist der Mann, der jetzt die Biografie zum Fischer geschrieben hat: „Heinz Oestmann – was Mut vermag“. Wobei Mut es eigentlich nicht trifft. Der Heinz, der ist, wie er ist. Der kann nicht anders.
Das Büchlein ist ein pralles Stück Hamburger Fischer- und Protest-Geschichte. Man hört den Heinz richtig reden: wie er bei seinem Vater das Fischen lernte. Was er für den Fang bei den Auktionen in Cuxhaven bekam und dass er selbst zur Prüfung zum Fischereipatent in Rockerkluft erschien. Wie er mit anderen Fischern die Elbe blockierte, irgendwann mal in die Bürgerschaft einzog und dass er Anfang der 80er-Jahre mal kurz nach Irland ausgewandert ist. Dazu kleine Schwarz-Weiß-Fotos.
Einige der Bilder hängen auch in der Wohnküche. Herrlich: Der Heinz als kleiner Junge in kurzer Hose, etwas kokett, als könnte er kein Wässerchen trüben. Dann Heinz als Buttje an Bord der Nordstern, die das gleiche Baujahr hat wie er selbst: 1950. Drunter ein Familienbild, aufgenommen 1883: Die sechs Oestmann-Brüder, allesamt Elbfischer. Etwas speziell: Einer der Brüder ist zu diesem Zeitpunkt schon tot. „Die anderen haben gedacht, wenn schon mal der Fotograf da ist“, sagt Heinz und lacht. „Die haben den Matthias in seinem Sarg fotografiert und den Kopf später ins Bild montiert.“
Fischer waren sie allesamt in der Familie, seit circa 1740. Auch Heinz Oestmann wollte nie etwas anderes werden. Ein Foto zeigt ihn auf der Nordstern, umgeben von vielen dreckigen Tellern. „Da hab ich den Moses gemacht.“ Das war 1956 und Heinz war sechs Jahre alt. Als er im selben Jahr eingeschult wurde, war die erste Klasse in Altenwerder riesig.
44 Kinder. Kaum vorstellbar, wenn man bedenkt, dass Altenwerder zum Schluss nur noch 35 Bewohner hatte. Anfang der 90er-Jahre, als ich ihn kennenlernte, war Heinz längst eine Berühmtheit. Es gab damals Fotos von ihm, die mehr bewirkt hatten als Studien und Demonstrationen: ein wilder, unbeugsamer Mann im Fischerhemd auf einem Kutter, der Fische mit Geschwüren in die Kamera hält – und der um seine Existenz kämpft und für die Umwelt. Alle Welt erfuhr, was es bedeutet, wenn Firmen wie Dow Chemical ihre Abwässer in die Flüsse einleiten und die Fischgründe vergiften. Dann der Protest der Fischer gegen Atomkraft. Unter anderem, weil durch das Ansaugen des Kühlwassers aus der Elbe tonnenweise Fische getötet wurden. Und natürlich der Kampf um Altenwerder, Dorf gegen Containerterminal. Wir haben damals die 35 Tapferen bewundert, die ausharren und ihr Dorf verteidigen wollten. Dass Renate und er freiwillig gehen würden, war unvorstellbar.
Renate, Heinz’ Liebe. Im Buch wird auch ihre Liebesgeschichte erzählt: Der 22-jährige Frauenheld, der nichts anbrennen ließ und nie länger als zwei Wochen mit einem Mädchen zusammen war, lernt die hübsche Renate kennen und stellt plötzlich fest, dass das mit der Renate „jetzt so in Ordnung war“. Das war 1972.
Wer sich aus Altenwerder rauskaufen ließ, der galt schnell als Verräter.
Aber zurück zu Altenwerder. Ich wusste, dass Heinz ein angespanntes Verhältnis zu seiner Mutter gehabt hatte. Die hatte nämlich 1978 das Oestmann’sche Haus an die Stadt verkauft, ohne jemandem etwas zu sagen. Und so waren Heinz, Renate und die vier Kinder Mieter im eigenen Haus.
Der Druck auf die Bewohner wurde immer größer. Wer sich rauskaufen ließ, der galt schnell als Verräter. Die letzten Menschen von Altenwerder bekamen Unterstützung von Rettet die Elbe, den Grünen, vielen Hamburgern – und auf eine gewisse Art auch von Herrn E. Eigentlich wollte er die letzten Bewohner von Altenwerder wortwörtlich plattmachen, verhalf Heinz aber unfreiwillig zu einem Punktsieg.
Und das kam so: E. machte im Auftrag der Saga Wohnungen, die nicht mehr bewohnt waren, unbewohnbar. Eines Tages rückte er auch bei den Oestmanns an, mit einem Lieferwagen und allerlei Gerät. Offiziell stand die Erdgeschosswohnung ja leer. Nur zufällig war Heinz zu Hause. Er verwies den Herrn E. des Grundstücks, aber der ließ sich nicht vertreiben. Da hat der Fischer „diesem Schlipsträger“ erst mal ordentlich aufs Maul gehauen. Natürlich landete Heinz vor Gericht – nicht zum ersten Mal. Herr E. behauptete, er wollte die Wohnung „nur besichtigen“, was sich als gelogen herausstellte. Die Männer, die beim Demolieren helfen sollten, packten aus – Heinz wurde freigesprochen. Aber die Stadt hatte so ihre Methoden, die letzten Altenwerder zu vertreiben.
Heinz sagt, er wolle künftig „frei sein wie ein Vogel“
Plötzlich waren tagelang Strom oder Wasser abgestellt, die Straßen wurden aufgerissen, sodass die Kinder nicht mehr mit dem Rad zur Schule fahren konnten. Eines Morgens machte Heinz dasselbe, was seinerzeit seine Mutter gemacht hatte: Er signalisierte Verkaufsbereitschaft. Er schrieb an den damaligen Wirtschaftssenator: Binnen einer Woche solle er kommen – und zwar allein. Seiner Frau erzählte er erst davon, als er den Brief abgeschickt hatte. „Womöglich dachte Rittershaus, er würde gekidnappt“, sagt Heinz ein bisschen schadenfroh. Rittershaus kam. Der Vertrag wurde binnen Tagen unterzeichnet. Die Forderung, der die Stadt zustimmte: Geld, damit er in Finkenwerder neu anfangen konnte. Es war ein Punkt gekommen, sagt Heinz in der Wohnküche, an dem klar war: Es gibt keine Perspektive mehr. „Und ich brauchte eine Perspektive für mich und meine Familie.“
Viele nahmen dem alten Rebell die Einigung mit der Stadt übel. „Dachten wohl, ich habe ’ne Million bekommen.“ Der Umzug hat ihm auch erst kein Glück gebracht. Bei Renate wurde Krebs festgestellt. Nur für sie hatte er ja eigentlich das Restaurant gebaut. Im März 2000, nicht mal zwei Jahre nach dem Umzug nach Finkenwerder, starb seine Frau. Nur noch einmal ist Heinz danach in Altenwerder gewesen. Zurückblicken, behauptet er, ist seine Sache nicht.
Genauso will er es jetzt machen. Haus und Restaurant will er verkaufen. Der alte Kutter, sein lebenslanger Begleiter, ist schon versilbert. Angeblich macht ihm das nichts aus. „Wer’s glaubt“, schreibt auch sein Biograf. Heinz aber sagt, er wolle künftig „frei sein wie ein Vogel“. Am liebsten mit der neuen Liebe. Denn eins ist klar: „Alles vergeht im Leben“, sagt der Fischer, der eigentlich schon keiner mehr ist, „nur das mit der Liebe nicht.“
Text: Birgit Müller
Fotos: Martin Kath; historische Bilder: Privatbesitz und Günter Zint
Mathias Denzlinger, Heinz Oestmann – Was Mut vermag, Elbaol Verlag Hamburg, 9,90 Euro. Oestmanns Fischerhuus, Rüschwinkel 2, Telefon 74 21 25 44, geöffnet Di–Sa 12–21 Uhr, So 12–20 Uhr. Am besten vorher anrufen.